Transparenz in der Lieferkette ist die beste Lösung, um einem harten Brexit und die Auswirkungen auf die Transportbranche entgegenzuwirken.

  2020 12 16 Brexit BL

Transparenz in der Lieferkette ist die beste Lösung, um einem harten Brexit und die Auswirkungen auf die Transportbranche entgegenzuwirken.

Von Marc P. Düppe, Director Strategic Accounts, project44

Der Brexit hat weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf Europa, Großbritannien und die Welt. Von Schwierigkeiten für Reisende, bis hin zu Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen - viele dieser Fragen wurden von Experten eingehend untersucht und vielfach diskutiert. Auch eine der größten unbeabsichtigten Folgen des Brexits, die Belastung für Lieferketten, wurde häufig angesprochen. Doch haben die Verantwortlichen in Unternehmen genug getan, um sich auf die neue Realität vorzubereiten? 

Wie die anderen durch den Brexit verursachten Heraus­forderungen wird das, was in der Trans­portin­dus­trie geschieht, kurz- und langfristige Auswirkungen haben. Sie werden sich sowohl auf die Unternehmen als auch auf die Verbraucher auswirken. Zu wenige Unternehmen wissen, wo ihre Ware sich aktuell befindet. Und das sollte den Kunden zu denken geben.

Heute sind das Vereinigte Königreich und die EU sehr gut integriert. In ihrer jetzigen Form ist die Wirtschaft der EU ein Kraftpaket, das auf einem beeindruckend großen Transport- und Logistik-Ökosystem beruht. Die Hälfte der weltweiten Importe und Exporte gehen in die und aus der EU, Millionen von Waren fließen täglich mit wenigen Einschränkungen hin und her. Und obwohl viele sagen können, dass das Vereinigte Königreich nicht in” Europa liegt, hat die Insel sehr wohl von den nicht vorhandenen Handelsschranken profitiert. 

Doch das wird sich nun alles ändern. Es ist zwar fraglich, welche Barrieren eingeführt werden können, aber es steht außer Frage, dass es einige geben wird, und dass sie sowohl kurzfristige Heraus­forderungen als auch langfristige Veränderungen für die Trans­port­l­o­gistik zur Folge haben werden. 

Hat COVID daran etwas geändert?

Die meisten Unternehmen bereiten sich seit einiger Zeit auf mögliche Auswirkungen des Brexits vor. Und dann kam mit der COVID-19-Pandemie eine neue, unerwartete Störung. In gewisser Weise war COVID-19 für die Unternehmen ein Warnsignal. Viele mussten feststellen, sie sind nicht bereit, um die durch einen Brexit voraussichtlich verursachten Unterbrechungen der Lieferketten zu bewältigen. Das Frühjahr 2020 war ein Weckruf, der vielen Unternehmen zeigte, dass sie keine wirkliche Transparenz und Kontrolle über ihre Lieferketten hatten. Sie waren nicht in der Lage schnell zu reagieren und sich anzupassen. Als sich die Pandemie ausbreitete und die Grenzen in Europa geschlossen wurden, brauchten Unternehmen bis zu einer Woche, um herauszufinden, wo sich ihre Waren befanden und wie sie diese ans Lieferziel bringen würden. 

Verzögerten sich normalerweise zwischen 3 Prozent bis 5 Prozent der Lieferungen, waren es über Nacht plötzlich 75 Prozent bis 90 Prozent. Ein riesiges Problem: Hersteller konnten ihre Waren nicht versenden, Verlader konnten ihren Verträgen nicht gerecht werden sowie ihre Kunden nicht zufrieden stellen und Einzelhändler, am Ende der Lieferkette, hatten keine Waren, die sie verkaufen konnten. Toilettenpapier ist dabei nur das prominenteste Beispiel. 

COVID-19 hat die als stabil geltende Lieferkette Europas an ihre Grenzen geführt und gezeigt, wie instabil sie tatsächlich ist und das aus einem einfach Grund: mangelnde Visibilität.

Warum sollten wir deshalb besorgt sein?

Die Pandemie mag ein Weckruf gewesen sein, der gezeigt hat, dass mangelnde Transparenz in der Lieferkette ein großes Problem ist, aber nicht alle Unternehmen sind dadurch langfristig aufgewacht. Denn viele haben sich nur um die vorübergehenden Heraus­forderungen durch die Pandemie gekümmert, aber die Tage, an denen Produkte aufgrund von Liefer­verzögerungen und Produk­tion­ss­chwierigkeiten aus den Regalen verschwanden, liegen hoffentlich hinter uns. 

Demgegenüber wird der Brexit andere, länger andauernde Heraus­forderungen mit sich bringen. 

In erster Linie wird uns ein harter Brexit eine harte Grenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bescheren. Zoll- und Ein- bzw. Ausfuhrbe­din­gungen müssen neu verhandelt werden, was zweifellos zu erheblichen Verzögerungen an Grenzen führen wird. Wenn man bedenkt, dass eine Studie des Chartered Institute of Procurement & Supply schon 2018 errechnet hat, dass eine 30-minütige Lieferverspätung dazu führen könnte, dass eines von zehn britischen Unternehmen bankrottgehen könnte, dann wird klar, welchen Schaden der Brexit anrichten kann.

Eine geschlossene Grenze bedeutet nicht nur Verspätungen beim Zoll und neue Vorschriften, auf die man achten muss. Eine weitere Unsicherheit sind zusätzliche Zölle. Da sich der Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und anderen europäischen Ländern vom Inlandshandel“ im Rahmen der EU auf den internationalen Handel verlagert, könnten beide Seiten die Festlegung von Zöllen in Erwägung ziehen. In jedem Fall wird dies eine bereits belastete Situation weiter komplizieren und könnte dazu führen, dass Verlader, Einzelhändler und andere im Trans­portökosys­tems darüber nachdenken, wie oder ob sie überhaupt noch in das Vereinigte Königreich liefern. 

Die Kapazität ist eine weitere Herausforderung, für die in der Realität nach dem Brexit noch keine Lösung gefunden wurde. Es werden mehr Kosten in der Lieferkette entstehen, um unter anderem Verspätungen auszugleichen und es wird generell immer schwieriger Fahrer zu finden, was zusätzlich die Tarife in die Höhe treiben kann. Nicht genügend Fahrer bedeuten nicht genügend Lastwagen, was bedeutet, dass es noch länger dauern und noch teurer werden wird einen neuen nahtlosen Status Quo zu etablieren. 

Wie geht es weiter?

Niemand kann sich auf alle Eventualitäten des Brexits vorbereiten, aber eines ist entscheidend: Unternehmen müssen jetzt in Technologien und Praktiken investieren, die ihnen Echtzeitvis­i­bil­ität und damit einen transparenten Einblick in ihre Lieferkette ermöglichen. 

Wenn ein Problem an irgendeinem Punkt in der Lieferkette auftritt, kann sich das auf das gesamte Unternehmen auswirken. Der Brexit wird diesen Effekt noch verstärken. Wenn die Unternehmen das Problem am genauem Punkt in der Lieferkette nicht erkennen können, werden sie auch nicht verstehen, wie andere Bereiche betroffen sein könnten, und sie werden nicht in der Lage sein, angemessen zu reagieren.

Unternehmen müssen sich jetzt dafür entscheiden, in die digitale Transformation ihrer Lieferketten zu investieren, dann profitieren Sie davon, unabhängig vom Ausgang des Brexits. Eine Erhöhung der Trans­portvis­i­bil­ität um 80 Prozent kann es einem Einzelhändler zum Beispiel ermöglichen, den Lagerbestand zu reduzieren und bisher in Ware gebundenes Kapital zurück in das Unternehmen fließen zu lassen. 

Je höher die Transparenz in der Lieferkette, desto mehr können Unternehmen die Auswirkungen auf sich, ihre Kunden und Endverbraucher reduzieren. Es ist an der Zeit, den Weckruf der Pandemie endlich ernst zu nehmen.